CUT-UP CONNECTION

DIE ALGEBRA DES ÜBERLEBENS

 

ein Film von Daniel Guthmann und Raoul Erdmann (BETA SP, 60 min), 1997

 

Wenn die amerikanischen Schriftsteller und Künstler der „Beat Generation“ nach Europa kamen, trafen sie sich oft in einem kleinen billigen Hotel im Pariser „Quartier Latin“. In diesem legendären „Beat-Hotel“ erfand der Maler Bryon Gysin Anfang der 60er Jahre durch Zufall die „Cut-Up“ Technik. Gysin hatte einen Stapel Zeitungen in Streifen geschnitten und die Schnipsel in zufälliger Anordnung wieder aneinandergefügt. Das Resultat faszinierte ihn. Bereits wenige Tage später begann der mit Gysin befreundete Schriftsteller William S. Burroughs mit der neuen Technik zu experimentieren. Fortan prägte die „Cut-Up“-Technik die literarische Avantgarde der 60er Jahre und inspirierte viele junge europäische Schriftsteller und Künstler. Einige von ihnen standen im direkten Kontakt mit Burroughs und anderen amerikanischen Beats. Cut-Up wurde zu einem Synonym für den Geist der kulturellen Revolte und für die Demontage von Herrschaftsdiskursen.

 

Jürgen Ploog (geb. 1935) ist - neben dem früh verstorbenen Rolf Dieter Brinkmann - der wichtigste deutschsprachige Schriftsteller, dessen Werke in der Nachfolge von William S. Burroughs stehen und gehört zu den deutschen Beat-Autoren der ersten Stunde. Schon in den frühen 60er Jahren begann Jürgen Ploog mit der von Burroughs geprägten literarischen Methode des Cut-Up zu experimentieren und veröffentlichte mit „Cola Hinterland“ im Jahr 1969 im Melzer-Verlag in Frankfurt den ersten deutschen Cut-Up Roman.

 

Jürgen Ploog war persönlich mit William Burroughs und mit anderen Autoren der amerikanischen beat generation befreundet. Gemeinsam mit dem Übersetzer Carl Weissner und dem Schriftsteller Jörg Fauser gründete Ploog in Frankfurt die legendäre Literaturzeitschrift „Gasolin 23“, das wichtigste Organ der deutschen Beatliteratur in den 70er und 80er Jahren. Wenn Burroughs nach Deutschland kam, waren Ploog und Weissner seine Anlaufstationen. So nimmt es nicht wunder, dass es Jürgen Ploog ist, der in dem herausragenden Dokumentarfilm „Commissioner of Sewers“ von Klaus Maeck ein längeres Gespräch mit dem „enfant terrible“ der amerikanischen Nachkriegsliteratur führt. Der Film dokumentiert sehr eindrucksvoll die letzte Lesung von Burroughs in Deutschland aus dem Jahr 1986. In jüngerer Zeit hat Jürgen Ploog mit seinem Buch „Straßen des Zufalls“ (1998) außerdem eines der ausführlichsten und kenntnisreichsten Bücher über den in mancher Hinsicht enigmatischen amerikanischen Schriftsteller verfasst.

 

Neben seinem Hauptberuf als Langstreckenpilot bei der Lufthansa hat der seit den 60er Jahren in Frankfurt lebende Jürgen Ploog zahlreiche Bücher geschrieben, die bis heute in kleineren Verlagen veröffentlicht werden. In Werken wie „Der Raumagent“ (1993), „Rückkehr ins Cola-Hinterland (1997) und „Die letzte Dimension“ (2002) werden die literaturtheoretischen Verbindungslinien zwischen Ploog und Burroughs erkennbar. Das Surreale in Ploogs Prosa ist von seinem diskontinuierlichen Lebensrhythmus als Pilot geprägt: ständige Ortswechsel, Durchquerung von Zeitzonen. Seine Hauptthemen sind die Auseinandersetzung mit Sprache und Bewusstsein sowie die Ungleichzeitigkeit von technischer und geistiger Entwicklung. Mit der Anthologie „Ploog-Tanker“, die im Herbst 2004 im ROHSTOFF-Verlag erschienen ist, ist nun ein Querschnitt aus Ploogs Arbeiten seit den 60er Jahren verfügbar.

 

Auch wenn Jürgen Ploog mit seinen Büchern nur einen relativ kleinen Kreis von Lesern erreicht, machen ihn die Konstanz, mit der er seit mehr als 40 Jahren an seiner Poetik arbeitet, aber auch sein Einfluss auf viele andere Autoren der deutschen Beat-Szene von den 60er Jahren bis heute, zu einer interessanten Figur der neueren Literaturgeschichte.